Besuch aus den USA

Schon in der zweiten Schulwoche konnten wir Nachfahren ehemaliger Schülerinnen, die wegen ihres jüdischen Vaters 1934 die Schule verlassen mussten, am MWG empfangen. Es war ein ertragreicher Nachmittag.

Rückblick

Hermann Bach ist Chefchemiker der Emschergenossenschaft und Jude. Bislang hatte niemand nach seiner Religion gefragt. Er ist verheiratet und seine drei Töchter Annelise, Hedwig und Gertrud besuchen die Maria-Wächtler-Schule (heute MWG). Das Gebäude in der Rosastraße ist ganz neu, 1927 war der Spatenstich, die Töchter fühlen sich wohl an der Mädchenschule.

Doch 1933 mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wird alles anders. Auf einmal werden Annelise, Hedwig und Gertrud als „Halbjuden“ gesehen. Lehrer stehen in Parteiuniform vor der Klasse, Mitschülerinnen kommen in BDM-Kluft zur Schule, es gibt Fahnenappelle auf dem Schulhof. Rassenkunde wird unterrichtet. Für die Familie Bach ändert sich das Leben schlagartig, eine Katastrophe folgt der nächsten: die Mädchen müssen 1934 die MWS verlassen. 1935 wird Hermann Bach von der Emschergenossenschaft entlassen – weil er Jude ist. Die Wohnung der Bachs wird geplündert. 1944 wird Hermann Bach von den Nazis verschleppt und im Gestapo-Gefängnis in Berlin ermordet. Seine Frau stirbt kurze Zeit später.

Annelise, Hedwig und Gertrud leben allein in der geplünderten und verwüsteten Wohnung und schaffen es irgendwie, den Krieg und die Nazizeit zu überstehen. Als Hitlerdeutschland endlich besiegt ist, gibt es für die drei nur eins: weg hier, raus aus dem Land, in dem die Eltern umgekommen sind, in dem so viel Unrecht geschehen ist. 1948 bzw. 1950 finden sie in den USA eine neue Heimat.

2022

Die Journalistin Martina Gorlas erforscht die Familiengeschichte der Bachs. Zusammen mit der Kollegin Alexandra Heimann arbeiten sie unter anderem im Archiv der Schule und finden Unterlagen über die ehemaligen Schülerinnen. Sogar die Nachfahren Hermann Bachs werden in den USA ausfindig gemacht.

Wir haben uns unglaublich gefreut, dass vier Enkel und zwei Urenkelinnen sowie zwei Großneffen von Hermann Bach aus Amerika nach Essen gekommen sind. Hedwig, die bald 102 wird, traute sich die Reise nicht mehr zu.

Nach einem Empfang im Rathaus und dem Besuch der Synagoge hatten wir die Ehre, die Nachfahren der Familie Bach am MWG begrüßen zu dürfen. Der Besuch aus den USA besichtigte die Schule, warf einen Blick ins Archiv und war sichtlich bewegt, hier einen Teil der schmerzhaften Familiengeschichte zu sehen.

Die Bereitschaft, sich der Schulvergangenheit zu stellen, die Verantwortung für die Zukunft, unsere pädagogische Arbeit, unser Konzept „Schule ohne Rassismus“ und der Bericht von unseren Studienfahrten nach Auschwitz wurden von den Besuchern hoch gelobt.

Vergangenheit und Gegenwart verbanden sich an diesem Nachmittag und wir warfen einen positiven Blick in die Zukunft.

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