Vor kurzem erhielt unsere Schule eine Mail mit einer Anfrage von einer ehemaligen Schülerin. Nun pflegt das MWG ein aktives Alumni-Netzwerk, aber diese Anfrage war dann doch etwas ganz Besonderes. Der Grund: diese Ehemalige besuchte das MWG vor sage und schreibe 75 Jahren! Ihr Nachname zu Zeiten der Anmeldung: „von Einem“ – man denkt unmittelbar an die entsprechende Straße im Umfeld des MWG und es stellt sich heraus, dass diese Straße tatsächlich nach dem Großvater dieser ehemaligen Schülerin benannt ist.
Der heutige Name dieser Ehemaligen lautet Frau Freudenstein und ein Geschichtskurs aus der EF hatte am 8. Mai 2025 das große Vergnügen, ihr und ihrem Mann, Herrn Freudenstein, in einer Frage-Antwort-Runde auf eine regelrechte Zeitreise zu folgen:
Frau Freudenstein erlebt vor ihrer Schulzeit am MWG als ca. zehnjähriges Mädchen die Zeit des zweiten Weltkrieges schon durchaus bewusst. Eindringlich schildert sie die Sorge während Bombenangriffen und berichtet von den Schwierigkeiten, während ihrer Evakuierungszeit in Pommern ohne die Eltern auskommen zu müssen. Jedoch berichtet sie auch davon, selbst in Momenten großer Angst und Entbehrungen immer wieder auch Momente der kurzen Freude und des Lachens gefunden zu haben.
Unmittelbar nach dem Krieg besucht sie zunächst ein Internat in Siegen und lernt, neben schulischen Inhalten, auch die Entbehrungen und Herausforderungen der Nachkriegszeit kennen. Als sie dann im April 1950 am MWG angemeldet wird, ist die Bundesrepublik Deutschland noch nicht einmal ein Jahr alt. Sie erlebt damit das MWG in einer gänzlich anderen Zeit und Verfassung als wir es heute tun. Die Schule und ihr Umfeld waren noch gezeichnet von Krieg. So berichtet Frau Freudenstein davon, dass teilweise im Unterricht Regenschirme aufgespannt wurden, weil es in dem noch kriegsbeschädigten Gebäude durch die Decke tropfte. Dies habe damals aber wenig gestört, da man einfach froh gewesen sei, nun wieder lernen zu können. Zudem erinnert sich Frau Freudenstein an den noch lange aufgehäuften Schutt im Umland des MWG, den die Schülerinnen und Schüler teils zum Spielen nutzten. Auch der Unterricht sah anders aus. Beispielsweise gab es Kochunterricht und Spüldienst. Schulbücher waren hingegen nicht verfügbar.
In der Folge erlebt Frau Freudenstein weitere Veränderungen und Einschnitte. Jemand, der dabei zu so mancher Entwicklung eine besondere Nähe hat, ist in der Folge Herr Freudenstein. Zunächst berichtet auch er eindringlich von Erlebnissen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Ab 1955 arbeitet er dann als Konferenzdolmetscher für das Verteidigungsministerium und nimmt dabei teil an den Vorgesprächen für den Élysée-Vertrag, über deren Zustandekommen er lebhaft berichtet. Auch nimmt er an vielen NATO-Konferenzen teil und bereist berufsbedingt an die 50 Länder. Staunend erfuhren die Zuhörer der Fragerunde dabei, wie Herr Freudenstein durch eine Verkettung glücklicher Umstände einmal im Weißen Haus als Übersetzer für Präsident Kennedy aktiv war. Kritisch blickt Herr Freudenstein heute auf ein neu ausgerichtetes Amerika unter Trump. Es wird spürbar, dass Herr und Frau Freudenstein viele aktuelle Veränderungen im Spiegel ihrer langjährigen Lebenserfahrung mit einer ganz besonderen eigenen Perspektive betrachten. So fordert Frau Freudenstein mehrmals die Zuhörerschaft dazu auf, rechtsextremen Strömungen etwas entgegenzusetzen.
Es war für alle Zuhörenden ein besonderes Glück, das Ehepaar Freudenstein am MWG begrüßen zu dürfen.